Seit drei Jahren läuft dieser Prozess, der große Ziele verfolgt: mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, ökologischer bauen, die Bauwirtschaft digital und nachhaltig transformieren.
Das klingt gut – und doch beschleicht uns jedes Jahr das Gefühl: Der gesamte Prozess geht am Kern des Problems vorbei.
Ein glänzendes Rahmenprogramm – und viel heiße Luft
Schon beim Empfang wird klar: Sparen muss hier niemand.
Ein üppiges Frühstücksbuffet, später eine Auswahl an Essensständen mit aufwendig angerichteten Speisen, nachmittags Kaffee und Kuchen im Überfluss.
An Geld mangelt es jedenfalls nicht – solange es um das Event selbst geht.
Nach der Begrüßung durch die Moderatorin wurde Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Bühne gebeten – allerdings sprach er nicht sofort.
Zuerst lief ein professionell produzierter Videoeinspieler: Musik, Bilder vom modernen Bauen, nachhaltige Materialien, lächelnde Handwerker*innen, das Versprechen, Baden-Württemberg baue an der Zukunft.
Dann begann Kretschmann seine Rede mit den Worten: „Ohne Klimbim geht es heute nicht.“
Das Publikum lachte, die Stimmung war locker.
Er sprach über das Bauen der Zukunft, über Innovationen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, über die gemeinsame Verantwortung von Politik und Wirtschaft. Gegen Ende wurde der Ton gefühlvoller – ein Appell an Zusammenhalt, Mut und den „Geist der Innovation“.
„Innovation schafft positive Stimmung“, rief er zum Abschluss.
Während der Applaus anhielt und der nächste Sprecher begrüßt wurde, fragten wir uns:
Wo bleibt die Substanz? Wo bleibt die Frage, wie Menschen mit durchschnittlichem Einkommen künftig überhaupt noch wohnen sollen – und wer die Wohnungen baut, die wirklich bezahlbar sind?
Immer neue Programme – immer neue Unsicherheiten
Dr. Olaf Joachim vom Bundesbauministerium sprach darüber, dass der Strategiedialog aus Baden-Württemberg auch im Bund Aufmerksamkeit erregt.
Am Ende berichtete er über neue Förderstrukturen – schon wieder sollen Programme verändert werden. KfW 55 wird wieder eingeführt, also zurück zu alten Standards.
Müssen wir jetzt alle wieder umplanen? Wir hatten doch auf die Förderung klimafreundlicher Neubauten gesetzt.
Der „Dialog“ ohne Dialog
Es folgte die Fragerunde mit den Ministerinnen Razzavi und Hofmeister-Kraut sowie Staatssekretärin Lindlohr. Die Moderatorin stellte vorbereitete Fragen, die mit ebenso vorbereiteten Antworten beantwortet wurden.
Ein Satz von Frau Razzavi ließ uns aufhorchen:
„Vor dem Ukraine-Krieg hatten wir das Problem des bezahlbaren Wohnraums noch nicht.“
Haben wir uns verhört? Oder leben wir in einem Paralleluniversum?
Der Tenor: Bauen, schneller, einfacher, günstiger
Wie jedes Jahr drehte sich fast alles um „Innovatives Bauen“.
Normen abbauen, Bauteile standardisieren, Prozesse beschleunigen – das war die Devise.
Ein Impulsvortrag von Dipl.-Ing. Hubert Rhomberg zeigte beeindruckende Bilder modularer, digital gesteuerter Gebäude: Hightech, effizient, smart.
Aber was völlig fehlte, war die zentrale Frage:
Werden dadurch die Mieten wirklich sinken?
Darüber sprach niemand.
Denn selbst wenn billiger gebaut wird – vermietet wird, was der Markt hergibt.
Und solange Wohnraum Ware bleibt, profitieren die Investoren, nicht die Mieter*innen.
Fragen an die Vortragenden? Fehlanzeige.
Nach dem letzten Beitrag ging es direkt zur Mittagspause.
Die Veranstaltung heißt „Strategiedialog“, aber einen echten Dialog gibt es nicht.
Das Mittagessen war exquisit – karamellisierter Fenchel, feine Sauce.
Am Stehtisch kamen wir mit einem Vertreter eines Elektrikerverbands ins Gespräch. Er erzählte, er habe selbst einmal ein Haus gebaut, doch seine gut ausgebildeten Kinder könnten sich das heute nicht mehr leisten. „Ich konnte das damals mit meinem Gehalt, mein Sohn kann es heute nicht mehr“, sagte er – und fügte hinzu: „2015 hat man doch für die Flüchtlinge überall gebaut, schöne Häuser – und jetzt, wo es um unsere Kinder geht, passiert nichts mehr.“
Da war sie wieder: die bequeme Verschiebung der Schuld – und der alte Glaube, dass jeder ein eigenes Einfamilienhaus besitzen müsse, um glücklich zu sein.
Doch das eigentliche Problem liegt gerade darin: in einem System, das Eigentum subventioniert, Einfamilienhäuser fördert und gemeinwohlorientierte Mietmodelle vernachlässigt – obwohl die Mehrheit der Menschen in Deutschland zur Miete lebt.
Wohnen ist zur Geldanlage geworden.
Mit Wohnraum wird gehandelt – und genau das treibt die Preise nach oben.
Solange sich daran nichts ändert, hilft auch das effizienteste Bauen nichts.
Was wirklich helfen würde
Wenn man wirklich mehr bezahlbaren Wohnraum will, reicht es nicht, billiger zu bauen.
Man muss anders fördern.
Keine Zuschüsse mehr für Eigentum oder Einfamilienhäuser!
Stattdessen dauerhaft gebundener Mietwohnraum, getragen von städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Mietshäuser-Syndikatsprojekten und anderen gemeinwohlorientierten Trägern.
Nur so kann Wohnen auf Dauer bezahlbar bleiben.
Nur so entzieht man Wohnraum der Spekulation.
Denn mit Wohnraum darf nicht gehandelt werden.
Das wäre die wahre Innovation.
Unser Fazit
Der Strategiedialog wirkt wie eine jährliche Selbstvergewisserung der Bau- und Immobilienlobby – garniert mit gutem Essen, schicken Folien und schönen Schlagworten.
Aber solange niemand die unbequeme Frage stellt:
„Wer soll das eigentlich bezahlen – und wer darf darin wohnen?“ wird sich nichts ändern.
Wir wollen, dass beim nächsten Strategiedialog endlich diese Frage in den Mittelpunkt rückt: Wie können die Investoren gestärkt werden, die bezahlbaren Wohnraum auf Dauer zur Verfügung stellen?
Einen Adventskalender gab es als Geschenk für alle Teilnehmer_innen noch dazu. Mehr Leben im Eigenheim? Wir bauen lieber Zukunft fürs Gemeinwohl!
