Neubaugebiete mit eingebauter Verdrängung

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VerdrängungSie kauern in den Startlöchern: Freiburgs Investoren und Projektentwickler mit ihren Kapitalanlegern, und natürlich auch die Baugruppen-Initiatoren. Tausende von Neubauwohnungen sollen in den nächsten Jahren in Freiburgs neuen Baugebieten hochgezogen werden. Der Interfraktionelle Antrag des Gemeinderates vom Nov.2011 für ein Handlungsprogramm Wohnen  setzt vor allem auf den Neubau von Wohnungen, um so der Verdrängung finanzschwacher Haushalte aus den älteren Stadtquartieren entgegen zu wirken. (Flugblatt als .pdf)

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„Die massive Umwandlung von preiswerten Wohnungen in Komfort- und Eigentumswohnungen in ganzen Quartieren… führt zur Verdrängung finanzschwacher Haushalte. Um negativen Entmischungssituationen entgegen zu wirken, ist … erforderlich…, dass am Freiburger Wohnungsmarkt ausreichend Wohnungen, vor allem preiswerte geförderte Wohnungen… zur Verfügung stehen. Voraussetzung für den dringend benötigten Wohnungsneubau ist die zügige Bereitstellung geeigneter Flächen im gesamten Stadtgebiet…“

Der Beton der letzten Effizienzhäuser im Vauban ist noch nicht völlig ausgehärtet…
Wir buddeln ebenfalls ein Startloch und schauen zurück zum fast schon fix und fertigen Baugebiet Vauban. Der Beton der hoch gedämmten, frisch gebauten letzten Effizienzhäuser ist noch nicht völlig ausgehärtet,  da purzeln schon die allerersten Häuserblöcke aus der Mietpreis- und Sozialbindung. In der Vaubanallee 1-3 werden die gut zehn  Jahre alten ehemaligen LBBW-Sozialwohnungen für atemberaubende 11,35  €/m² neu vermietet und gleichzeitig zum Verkauf angeboten – die Kündigung wegen Eigenbedarf  winkt mit dem Zaunpfahl. Während die letzten neuen BewohnerInnen mit dem Möbelwagen ins Vauban einrücken, müssen die ersten schon wieder packen, weil sie die hoch preisigen Mieten nicht mehr bezahlen können.

…da fallen schon die ersten Häuser aus der Mietpreis- und Sozialbindung.
Wohin? Die Stadt weist neue Baugebiete aus. Zum Beispiel in den Gutleutmatten. Platz für Wohnungssuchende. Platz für die frisch verdrängten Haushalte der zuletzt gebauten Stadtteile, wie das Vauban. Vorausgesetzt sie können die einige Euro/m² höheren, neuen Sozialmieten bezahlen. – Fünfzehn Jahre später: Wenn die dort gebauten Sozialmietwohnungen dann wieder „aus der Bindung fallen“ (quasi naturgesetzlich), geht’s abermals weiter. In die übernächsten, noch neueren Baugebiete, die ebenfalls mit eingebauter Verdrängung. Und so fort.

Vielleicht haben wir etwas übersehen, aber diese Form der Stadtentwicklung scheint noch nicht hundertprozentig ausgereift zu sein, um den angestrebten Nachhaltigkeitspreis für  ökologische und soziale Modellstadtteile zu gewinnen. Irritiert werfen wir einen zweiten Blick in den Interfraktionellen Antrag/ Handlungsprogramm Wohnen. Der beginnt mit einem herzerwärmenden Zitat aus der Freiburger Agenda 21:

„Der Lebensraum Wohnen ist zukunftsfähig und nachhaltig, wenn
… ein ausreichendes und bezahlbares sowie den unterschiedlichen Bedürfnissen von Menschen entsprechendes Wohnangebot vorhanden ist, das auch einkommensschwache Haushalte und sogenannte soziale Randgruppen erreicht und ihnen ein menschenwürdiges Wohnen ermöglicht.

Das klingt  super: Wohnen – menschenwürdig – sozial  –  bezahlbar  – nachhaltig – zukunftsfähig –,  alles kompakt in einem Satz. Aber wie werden diese Ziele in den  Neubaugebieten verwirklicht? (Die ja auch die Altbauviertel von morgen sind?) Und zwar dauerhaft, für zukünftige Generationen? Wie kann die vorprogrammierte Verdrängung  à la Vauban verhindert werden?

Zufällig fällt unser Blick auf den Boden unseres Startlochs in den Gutleutmatten, auf das nasse, matschige Erdreich: Das ist ja ein riesiges, ungeteiltes Baugrundstück für rund 500 neue Wohnungen, das noch der Stadt Freiburg gehört! Hier in den Neubaugebieten könnte die Chance genutzt werden, die Weichen von vornherein anders zu stellen! Denn die Stadt Freiburg kann (so wie beim Klimaschutz) als Verkäuferin der Einzelgrundstücke Bedingungen an die Investoren stellen, die eine Verdrängung verhindern:

  • Einen Mindestanteil von
  • bezahlbaren Mietwohnungen
  • mit dauerhafter Sozialbindung, für zukünftige Generationen

Schon wollen wir aus unserem Startloch erleichtert los legen, da blinkt es metallisch unter unseren Schuhen. Wir buddeln und fördern einen hübschen Edelstahlbehälter zu Tage, mit dem Logo der Freiburger Stadtbau. Vermutlich wurde er hier vorsorglich für die Grundsteinlegung  der Sozialwohnbauten in den Gutleutmatten deponiert. Im Behälter entdecken wir ein 45-Seiten starkes Schriftstück: „Kommunales Handlungsprogramm Wohnen – Handlungsmöglichkeiten der Freiburger Stadtbau GmbH“ vom 20.9.2012. Als Verfasser zeichnet FSB-Geschäftsführer Ralf Klausmann.

Es ist die taufrische Antwort der FSB auf den schon ein Jahr alten Interfraktionellen Antrag. Unauffällig eingebettet in einen wahren Steinbruch von Informationen befinden sich die beiläufigen Anmerkungen von Ralf Klausmann zur Frage, wie der Verdrängung finanzschwacher Haushalte entgegengewirkt werden kann; die ja der Ausgangspunkt des Interfraktionellen Antrages für ein Handlungsprogramm Wohnen war:

„…für Investoren nicht interessant“: „Aufgrund der hohen am Markt erzielbaren Mieten und der geringen Darlehenszinsen besteht ein sehr geringes Interesse privater Investoren an der Schaffung geförderter Mietwohnungen.“ (Seite 31)
„Mietwohnungsprivatisierung an Mieter
…Kein Mieter muss von einem solchen Angebot Gebrauch machen. Nur für den Fall, dass Mieter aus ihren Wohnungen ausziehen, wird die Wohnung zur Eigennutzung an Dritte veräußert.“ (Seite 32)
„Verlängerung der Bindungsfristen“:
„In den nächsten 10 Jahren wird sukzessive bei 830 FSB-Wohnungen die Bindungsfrist enden.“ Durch deren Verlängerung aber würden der Freiburger Stadtbau erhebliche „Verluste in Form entgangener Mieteinnahmen“ entstehen. Denn ohne eine Anpassung der Mieten an den Mietspiegel könne „kein dringend benötigter zusätzlicher Wohnraum“ geschaffen werden. (Seite 37)

Neuer Wohnraum, der ja nun in der Tat dringend benötigt wird, um wieder diejenigen Haushalte unterzubringen, die aus den früheren Sozialwohnungen der Neubaugebiete verdrängt werden, wie jetzt im Vauban.

Benommen stolpern wir aus dem Startloch über die Gutleutmatten und fragen: Glaubt der Verfasser selber, was er schreibt? Oder wird der Klausmann vom Gewicht seiner Satzbausteine aus der Kurve getragen? -Kann es wirklich sein, dass die Freiburger Stadtbau die Zielsetzung des Interfraktionellen Antrages, wie der Verdrängung finanzschwacher Haushalte entgegen gewirkt werden kann, ein wenig missverstanden hat?

Diese Art von Umzugsketten und Verdrängung von einem Stadtviertel ins nächste – egal ob neu oder alt – wollen wir beenden. Auch ohne Diplom in Wirtschaftswissenschaften möchten wir uns über Handlungsmöglichkeiten in den neuen Baugebieten verständigen, die ohne Verkauf von Altbaubeständen und ohne Aufhebung der Sozialbindung funktionieren, die ein original nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen und das „Recht auf Stadt“ einschließen (die Altbauquartiere nicht zu vergessen); in Anlehnung an das Modell des Mietshäuser Syndikats, mit neuen Quartiersgenossenschaften, und in Kooperation mit MieterInnen der Stadtbau und mit anderer genossenschaftlicher Bauträgern.

Und zwar bevor Investoren und Kapitalanleger dort ihre Häuser gebaut und Grundstücke eingezäunt haben, um danach die weniger Begüterten dieser Stadt freundlich zu belehren: Dass die Erde endlich ist und Grundstücke nicht unbegrenzt verfügbar sind; dass Häuser als knappe und begehrte Güter ihren Preis, den Marktpreis haben und immer teurer gekauft oder gemietet werden müssen (den Klimaschutz nicht zu vergessen); und dass folglich ein immer größerer Teil des Einkommens für die Wohnung abgezwackt  werden muss. – Aber gerade weil die Erde endlich ist und bebaubare Grundstücke nur begrenzt verfügbar sind, sollten wir die Stadt nicht diesen Investoren überlassen. Wir laden Sie/Euch herzlich ein, mit uns diese Fragen und Handlungsansätze zu diskutieren.

Veranstaltung „Freiburgs Neubaugebiete – mit eingebauter Verdrängung?“
Freitag, dem 30. November 2012 um 20 Uhr
Ort: Stadtteiltreff Haslach, Melanchthonweg 9 b (etwa in Höhe der Markgrafenstr. 28)

Der Lebensraum Wohnen ist zukunftsfähig und nachhaltig, wenn

ein ausreichendes und bezahlbares sowie den unterschiedlichen Bedürfnissen von Menschen entsprechendes Wohnangebot vorhanden ist, das auch einkommensschwache Haushalte und sogenannte soziale Randgruppen erreicht und ihnen ein menschenwürdiges Wohnen ermöglicht.