OFFENER BRIEF An Herrn Oberbürgermeister Horn

An die Stadt Freiburg
Herrn Oberbürgermeister Horn

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn,

wir unterstützen den außergewöhnlichen und mutigen Vorschlag in Ihrer Antrittsrede vom 2.7.2018,

„…dass das Gebiet Stühlinger-West ohne profitorientierte Investoren erschlossen wird. Keine Profitorientierung, sondern Genossenschaften, das Mietshäuser Syndikat, soziale Baugruppen und natürlich ganz besonders mit unserer Stadtbau als Kernakteur.“

Die Idee ist so gut und zukunftsweisend, dass wir daran anknüpfen wollen und vorschlagen, bereits beim westlichen Teil des Güterbahnhof-Nord-Areals (2.Teilabschnitt), der Jahre früher als Stühlinger-West vergabereif sein wird, die ersten Erfahrungen zu sammeln: ohne profitorientierte Investoren. Denn in diesem kleinen Teilgebiet des Güterbahnhofs muss die ehemalige Bahntochter Aurelis, die mittlerweile einem internationalen Immobilienfonds gehört, 22 % der Grundstücke an die Stadt Freiburg abtreten, auf denen 180 geförderte Wohnungen entstehen sollen. (Pressemitteilung der Stadt vom 20.6.2018).

Neben der allgemeinen Zielsetzung, dauerhaft bezahlbare Mietwohnungen zu schaffen, bietet sich hier die Chance, ein heißes Eisen frühzeitig anzupacken und in die Diskussion um die Abgrenzung von profitorientierten und nicht-profitorientierten Wohnungsunternehmen einzusteigen. Ziel ist es, Kriterien herauszuarbeiten, die als Grundlage für das Vergabeverfahren und Vermarktungskonzept dienen können.

Zum Artikel der BZ vom 10.7.2018 „Horn irritiert die Bauwirtschaft“ wird im Kommentar „Wo verläuft die Grenze?“ festgestellt:

„Es gibt alteingesessene Familienunternehmen, die schon viele Sozialwohnungen realisiert haben…“
„…Und auch eine Baugenossenschaft muss Gewinne erzielen… Wo also die Grenze ziehen?“

Beides ist richtig. Richtig ist aber auch, was wir in unserem Offenen Brief vom 22.7.2018 (PDF im Anhang) an den Redakteur geschrieben haben: Dass die im BZ-Artikel genannten Unternehmen ihre in früheren Zeiten errichteten Sozialwohnungen entweder nach Ablauf der Bindungsfristen als teure Eigentumswohnungen verkauft haben; wenn sie nicht sogar dafür berüchtigt sind, preiswerte Mietwohnungen aus öffentlichen Beständen im großen Stil aufzukaufen, um sie Haus für Haus gründlich zu entmieten, „aufzuwerten“ und als teure Eigentumswohnungen zu vermarkten.

Von diesen Geschäftsmodellen der Freiburger Immobilienwirtschaft sind die traditionellen Großgenossenschaften mit ihren sehr umfangreichen Mietwohnungsbeständen und meist moderaten Mieten meilenweit entfernt (trotz kritischer Entwicklungen wie z.B. in der Quäkerstraße der Familienheim eG oder im Uni-Carré des Bauvereins Breisgau eG).
Erst recht gilt das für die weniger bekannten jüngeren (Klein-)Genossenschaften Genova eG, Vaubanaise eG und Oekogeno Hausgenossenschaft eG sowie andere genossenschaftlich organisierte Unternehmen wie die Projekte des Mietshäuser Syndikats, die ihre Mietwohnungsbestände satzungsgemäß erhalten statt abzubauen.

Alle diese genossenschaftlichen Unternehmen erwirtschaften früher oder später Gewinn (Profit, Rendite).
Wo verläuft die Grenze? Der Unterschied zu Bauprojekten der renditeorientierten Wohnungswirtschaft liegt auf der Hand: Die Häuser und Wohnungen werden eben nicht an profitorientierte KapitalanlegerInnen verkauft, sondern bleiben dauerhaft im Eigentum der genossenschaftlichen Unternehmung, deren AnteilseignerInnen wiederum die MieterInnen eben dieser Wohnungen sind. Das ist das genossenschaftliche „Identitätsprinzip“: Die MieterInnen sind gleichzeitig – in kollektiver Form – die VermieterInnen.

Das Kriterium der „Selbstnutzung“ lässt sich zur Abgrenzung zu renditeorientierten Unternehmen juristisch einwandfrei fassen und ist in vielen anderen Städten wie z.B. Hamburg oder Leipzig seit Jahren gebräuchlich; es taugt weitaus besser als das plakative Etikett „nicht profitorientiert“ und ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Mietwohnungen auch nach Ablauf der Bindungsfristen bezahlbare Mietwohnungen bleiben und nicht wieder dem kapitalistischen Immobilienmarkt zugeführt werden.

Daneben sind selbstverständlich soziale Vergabekriterien für jedes Grundstück unerlässlich: Bonuspunkte z.B. für geförderten Mietwohnraum nach Anzahl der Wohnungen (besser nach Wohnflächen, sonst gibt’s überwiegend Miniwohnungen) und nach der Dauer der Sozialbindung. Da diese Bindungen beim einzelnen Bauprojekt grundbuchlich abgesichert werden, lässt sich die Zielsetzung „dauerhaft bezahlbare und gebundene Mietwohnungen“ für sehr lange Zeiträume von bis zu 60 Jahren verankern. Für die Zeit danach könnte ein grundbuchlich und damit dauerhaft abgesichertes Vorkaufsrecht die Exit-Strategie der Investoren durchkreuzen (auch in Verbindung mit Erbbaurechten).

Der westliche Teil des Baugebiets Güterbahnhof-Nord (2.Teilabschnitt) umfasst zwar „nur“ 180 geförderte Mietwohnungen und keine 1000 wie Stühlinger West, stellt aber einen handlichen und zeitnahen Einstieg in die praktische Umsetzung der Vision von Baugebieten ohne profitorientierte Investoren dar. Eine ähnlich frühzeitige Einstiegsmöglichkeit bieten die im städtischen Eigentum befindlichen Teilflächen des Baugebiets Zähringen-Nord: Dort ist der städtebauliche Wettbewerb bereits entschieden und der Bebauungsplan in Arbeit.

Über ein Gespräch mit Ihnen würden wir uns freuen – gerne auch zusammen mit Fachleuten aus dem Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen, die die Vergabekriterien entwickeln. So wichtig wie der Bebauungsplan für die Bebauung als „Hardware“ des Baugebietes ist, so bedeutsam sind Vergabekriterien und Vermarktungskonzept für Eigentumsstruktur und soziale Ausrichtung des Quartiers, sozusagen als „Software“. Wie die jahrelangen Auseinandersetzungen um die 50 Prozent Quote geförderter Mietwohnungsbau zeigen, kann man nicht früh genug mit der öffentlichen Diskussion des Vermarktungskonzeptes beginnen.

Offene Fragen Ihrerseits können wir gerne in einem Gespräch klären.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Stefan Rost
Helma Haselberger